Vernunft – jetzt auch als Magazin

Wie eine junge Düsseldorfer Agentur mit frechen Fragen eine schmerzliche Lücke im Onlinejournalimus füllen konnte – und warum sie einen alten weißen Mann dabei mitmachen ließ

Ach ja, die gute alte Aufklärung. Jene Errungenschaft des Abendlandes, die übrigens einen Vorgang und nicht einen Zustand bezeichnet. Der Vorgang bestand darin, dass über ein Jahrhundert hinweg der mittelalterliche und vom Klerus eingebimste Irrglaube an Geister, Dämonen, Magie, gottgefällige Untertänigkeit des Pöbels und gottgewollte Privilegien der Obrigkeit überwunden wurde. Der Vorgang bestand in einer Emanzipation, in deren Verlauf sich erst eine Avantgarde und dann die Masse Kulturtechniken wie das Lesen gelehrter Bücher und das Vervielfältigen derselben draufschaffte. Der Vorgang bestand, kurz gesagt, in der Erschaffung der Grundlagen für eine demokratische Zivilisation. Oder noch kürzer: im Siegeszug der Vernunft.

Eben all das, was uns heute wieder rasant verloren zu gehen droht. Denn wie gesagt: Aufklärung ist ein Vorgang. Degeneriert sie zum vermeintlich sichergestellten Zustand, schwindet sie bereits. Dann ist wieder Platz für magisches Denken, für neue Politreligionen, für glaubens- und ideologiebasierte Sprachregelungen, strafbewehrte Dogmen, geheime Agenden und trügerische Narrative, die von niemandem mehr kritisch hinterfragt werden – sonst Kopf ab.

Vergeht die Aufklärung und mit ihr die rationale Vernunft, dann können neue Mächte, statt des mittelalterlischen Klerus etwa moderne globale Corporations, die verblödeten Massen aufs Neue mit Schamanenzauber hinters Licht führen, aber auch in die selbst gestellten Fallen tappen und ihren eigenen Lügen glauben: Wir sind jetzt agil, dynamisch, nachhaltig, inklusiv, vielfältig, effizient, innovativ, sozial; wir sind rundum gut. Läuft!

Nicht das Rad, aber das Fahren neu erfinden

Eine Strategie-Agentur, die sich selbst den mutigen Namen „Die neue Vernunft“ gibt, sollte also besser glaubhaft machen, dass sie derselben wieder auf die Sprünge helfen will. Gerade in der Sphäre der Wirtschaft und der Unternehmen, die dazu neigt, ihren eigenen Voodoo-Zauber zu glauben. Diese Agentur gibt es seit einiger Zeit, eine Gründung der Agenturgruppe KNSKB+. Und tatsächlich, sie geht neue Wege. Neo- aufklärerische Wege.

Sie gibt zum Beispiel ein eigenes Online-Magazin heraus. Das heißt ebenfalls Die neue Vernunft, denn warum das Rad neu erfinden, wenn man doch nur das Fahren revolutionieren will. Es ist ziemlich bunt, es gibt Grafiken, Videos, Musik und sogar Comics darin, was ich hier aber aus urheberrechtlichen Gründen alles nicht zeigen kann. Daher an dieser Stelle nur ein eher textlastiger Screenshot:

Unter den vielen schönen Ideen im Magazin ist die schönste, dass es – wie die Unternehmensberater der Agentur selbst – an Grundfesten rüttelt. Es hinterfragt Dinge. Zieht in Zweifel. Denkt über Tellerränder hinweg und sogar quer. Stellt auch Grundlegendes, vermeintlich in Stein Gemeißeltes infrage: Ist der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts wirklich das Ende der Fahnenstange? Kann nichts Besseres mehr kommen? Warum funktioniert dann nichts so wie in den Werbespots? Warum sind wir nicht glücklich, wenn wir doch in einer perfekten Welt arbeiten?

Es sind überwiegend junge Leute, die solche frechen Fragen stellen. Erfrischend. Denn es gibt, wie wir alle wissen, auch andere. Sehr viele andere, die überhaupt nicht mehr fragen.

Jugend-Werk und Driesens Beitrag

Und dann gibt es noch mich alten Sack. Schon bei der ersten Ausgabe von „Die neue Vernunft“, dem Magazin, hatte ich ein wenig mithelfen dürfen. Und jetzt ist Nummer 2 erschienen. An der ließ man mich ein wenig mehr anfassen, mitkonzipieren, -recherchieren und -schreiben, weil man bei der Agentur dachte, ich hätte ja nun schon ein wenig Erfahrung im Journalismus, nach 26 Berufsjahren. Und das würde gut zum Alles-anders-Machen der jungen Leute dort in Düsseldorf passen. Gegensätze ziehen sich an, und so weiter.

Stellt sich heraus: Das stimmt! Weniges hat mir in den letzten Monaten so viel Spaß gemacht und mich auch gedanklich so weitergebracht wie die Arbeit mit, an und für „Die neue Vernunft“. Das Titelthema der aktuellen Ausgabe lautet übrigens: „Motivation“. Die beste und produktivste Form derselben ist, so habe ich gelernt, die sogenannte intrinsische Motivation. Die benötigt keine Boni, Dienstwagen und andere geldwerte Vorteile, um sich für eine gemeinsame Sache zu engagieren. Sie stellt einfach einen Gleichklang der Wünsche und der Realitäten her: Man tut, was man gerne tut. In der Wirtschaft des neuen Jahrtausends eine markerschütternde Erkenntnis – einfach, weil sie so selten ist. Jetzt geht es nur noch darum: Wie schafft man das als Unternehmen, so zu arbeiten?

Ich empfehle jedermann die Lektüre, das Anschauen und Anhören von „Die neue Vernunft“ zum Thema Motivation. Da können Sie eine Menge Anregungen mit auf ihren weiteren Arbeitsweg nehmen. Ganz besonders, wenn es noch so viele Lebensjahre bis zur Rente sind.

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