Eine kleine Kulturgeschichte des Ghostwriting
Hast du mal darüber nachgedacht, Ken: Das Halten einer Rede über die Wirtschaft ähnelt in vielem dem Herunterpinkeln am eigenen Bein. Für einen selber fühlt es sich heiß an, aber niemand anderes teilt dieses Gefühl.
US-Präsident Lyndon B. Johnson in einem internen Vermerk an seinen Redenschreiber John Kenneth Galbraith
Keine Rede, kein Vortrag und kein Essay verlangte zu allererst möglichst geistreiche Wortwahl. Historisch war etwas anderes dringlicher: der Liebesbrief. Diese heikle Aufgabe geht daher schon seit uralten Zeiten – als junge Edelmänner oft noch Analphabeten waren – häufig an gebildete und einfühlsame Ghostwriter. Unter deren Texte muss der echte, aber nicht so schreibgewandte Verliebte nur noch seinen Schnörkel setzen. Berühmt als Liebes-Geister sind seit dem 17. Jahrhundert die „Evangelistas“ von Mexico City. Bis heute haben ihre tragbaren Schreibmaschinen vor jedem Valentinstag auf der Plaza Domingo Hochkonjunktur.
Der verborgen im Dienste eines Auftraggebers arbeitende Ghostwriter zieht sich durch die Geschichte alles Geschriebenen, und die wirklich edlen Federn sind davon keineswegs ausgenommen – als „Dienstgeber“ ebenso wie als „Dienstleister“. Jeder kennt Goethe, aber wenige haben je von Friedrich Wilhelm Riemer gehört. Dabei bewohnte dieser die Mansarde gleich über dem Blauen Zimmer in Goethes Weimarer Haus und begleitete den Dichterfürsten auch auf vielen Wegen. Riemer konnte Goethes Unterschrift fälschen, schrieb für ihn Briefe „und allerlei Geschriebenes mehr, das seinen Namen trägt“.
Heinrich Heine, dessen „Buch der Lieder“ der Verlag Hoffmann und Campe 1827 herausbrachte und der mit diesem Werk endgültig zur literarischen Berühmtheit wurde, soll sich drei Jahre zuvor selbst als Ghostwriter ins Gespräch gebracht haben: Noch als Jurastudent hatte sich Heine laut dieser Anekdote erboten, einem Freund gegen entsprechende Bezahlung diskret dessen Doktorarbeit zu schreiben.
„Serientäter“ für große Franzosen
Alexandre Dumas der Ältere wiederum ließ andere für sich schreiben, weil sein aufwändiger Lebensstil maximale Effizienz verlangte und er selbst schon an seiner Leistungsgrenze war. Kein Wunder: In seinem Namen erschienen hunderte Bände. In seinen Memoiren machte er publik, dass er insbesondere die Erzählungen nicht selbst oder nur teilweise selbst geschrieben, sondern lediglich noch Figuren und Erzählstränge entwickelt und ansonsten Dutzende Lohnschreiber eingesetzt hatte.
Dumas’ populärster Roman „Die drei Musketiere“ stammt zu großen Teilen aus der Feder des Schriftstellers Auguste Maquet. Sein nicht minder berühmter Landsmann und Zeitgenosse Balzac, so schrieb es dessen Biograph Léon Gozlan, bediente sich für sein Drama „Vautrin“ eines Ghostwriters – während Gozlan ein anderes Mal selbst Balzacs Schatten war: für Teile des über 90-bändigen Zyklus der „Menschlichen Komödie“.
Nicht wenige Bühnenstücke und Gedichte Bertolt Brechts verdanken sich genau genommen ganz oder teilweise seinen Mitarbeiterinnen Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau und Margarete Steffin. Die „Dreigroschenoper“ hätte es ohne Hauptmann wohl nie gegeben. Selbst der Alpinist Luis Trenker brachte es mit der schriftlichen Darstellung seiner Abenteuer und Erkenntnisse zu einigem Ruhm – als Literat der Bergwelt. Allerdings ließ auch er sich von seinem in dieser Funktion ursprünglich niemals genannten Freund Fritz Weber, einem österreichischen Schriftsteller, bei seinen Büchern helfen.
„ … und alle seine Reden zu verfassen“
Das Wort „Ghostwriter“ oder schlicht „Ghost“ ist im Englischen schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gebräuchlich. Die Londoner Pall Mall Gazette berichtet im Jahr 1889: „Die einzigen, die aus ihren Ghosts kein Geheimnis machen, sind die amerikanischen Millionäre, von denen einer in seinem Stellenangebot für einen Privatsekretär ausführte, dass es der Posten vor allem mit sich bringe, alle seine Einladungsschreiben und alle seine Reden zu verfassen.“
Im deutschen Großen Brockhaus findet sich der Eintrag „Ghostwriter“ erstmals 1954, und der Spiegel führt den Begriff 1956 ein, als er über einen französischen Autor mit dem vielsagenden Pseudonym Jean Nègre berichtet. Nègre, zu deutsch „Neger“, war bis dahin die vorherrschende, aber herabwürdigende Bezeichnung für den Ghost.
Als amerikanischer „King of Ghost“ (Newsweek) gilt bis heute William Novak. Er verfasste die vermeintlichen Autobiographien von Wirtschaftsführern wie Chrysler-Chef Lee Iacocca und von Celebrities wie Nancy Reagan. Gerade in den Vorstandsetagen von Industrie und Banken ist es seit vielen Jahren üblich, nicht nur Biographien, sondern auch Grußworte, Lectures, Gastbeiträge und vor allem Reden von verschwiegenen Autoren entwerfen zu lassen, um öffentlich damit in Erscheinung treten zu können.
Dabei gilt: Je namhafter und begabter der anonyme Verfasser, desto größer die Anerkennung für den Namensgeber oder Redner. So wurde kein Geringerer als Franz Kafka am Beginn des 20. Jahrhunderts zum Autor für Reden von Direktoren der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt – und hörte bei einem Kongress in Wien, im Publikum sitzend, seinen Kunden beim Vortrag zu.
Von Brandt gesagt, von Grass getextet
Auch das Ghostwriting von Reden für Politiker hat eine lange und erlesene Tradition. Staatsmänner schreiben ihre Manuskripte sogar ausgesprochen selten selbst (der Bundespräsident und Privatgelehrte Theodor Heuss war eine Ausnahme), sondern sie beschäftigen dafür gewöhnlich ganze Teams.
Manche jedoch bevorzugen ganz bestimmte, namhafte Autoren als ihre „Schatten“. So ließ sich Bundeskanzler Willy Brandt Ansprachen von Günter Grass schreiben, dem späteren Literaturnobelpreisträger. Manfred Bissinger, Gründer der Wochenzeitung Die Woche, verfasste Reden für Gerhard Schröder in dessen Amtszeit als Kanzler.
Hier endet vorerst unser Streifzug durch die große Tradition des Ghostwriting, angefangen von der älteren Literaturgeschichte bis zur heutigen Auftragsarbeit für Politik und Wirtschaft. Was hingegen nicht endet, ist der unermüdliche Einsatz der „Geister“ und „Schatten“ zugunsten einflussreicher Persönlichkeiten.
In dieser höchst lebendigen Tradition setze ich heute die altehrwürdige, aber verschwiegene Kunst der Schattenschreiber fort: zeitgemäß und an den Bedürfnissen des Marktes orientiert, aber ohne dabei den alten Zauber des genau zum Auftraggeber passenden Wortes aus dem Blick zu verlieren. Diskret im Dienst Ihrer Botschaft und Ihres Namens. Loyal, versiert und vor allem wirkungsvoll.