Ein Ort, der Funken sprüht

Es gibt Landschaften und Häuser, die zum Schauplatz einzigartiger Geschichten werden – weil nur dort der Geist des Erzählens gedeiht. So wie Schloss Wildenberg in Brunskappel.
Voll ins Dorf integriert: Schloss Wildenberg, Brunskappel

Vom Sauerland kannte ich, bevor ich nach Brunskappel kam, nur ein paar Namen: Winterberg war mir ein Begriff wegen seiner Bob- und Rodelbahn, der Kahle Asten als markanteste Erhebung Nordrhein-Westfalens, gerade noch Arnsberg wegen seines Regierungsbezirks. Das sollte sich gründlich ändern. Nachdem ich im Frühjahr 2022 den Auftrag erhielt, die Geschichte des Brunskappeler Schlosses Wildenberg zu erzählen, schärfte sich mein Blick für das Sauerland und seine Menschen von Aufenthalt zu Aufenthalt immer mehr.

Und dabei ist etwas mit mir geschehen: Ich habe Feuer gefangen. Feuer für einen einzigartigen Ort, dessen Magie nun in Buchform eingefangen ist: „Wildenberg. Ein Schloss. Ein Manifest“, als opulent bebilderter Prachtband (Fotos: Claudia Kempf) herausgebracht von Pro Heraldica in Stuttgart. Eine Verlagspremiere: Erstmals wird nicht die Geschichte eines Unternehmens oder Unternehmers, sondern eines Hauses in den Mittelpunkt gestellt.

Verlags-Premiere: Die Historie eines Hauses als Buch

Die Beziehung zwischen dem über tausend Jahre alten Dorf Brunskappel, seinem – in verschiedenen Inkarnationen – über 700 Jahre alten Schloss und dessen wechselnden Schlossherren war immer ein Spannungsfeld. Unsichtbare Energielinien zuckten zwischen den Plus- und Minuspolen hin und her. Was die machtbewussten Herren im Schloss taten, hatte Konsequenzen für den Ort und umgekehrt. Das lag nicht zuletzt daran, dass dieses Haus mitten im Dorf steht, statt auf einer der umliegenden Höhen zu thronen. Wildenberg war stets von den Fachwerkhäusern der Brunskappeler umzingelt, und sie standen immer in seinem Schatten. So etwas schafft Nähe und Austausch zwischen gegensätzlichen sozialen Ständen, aber auch Reibung und wechselseitige Abhängigkeit.

Dabei blieb es über alle Jahrhunderte hinweg. Eines der unglaublichsten Kapitel der jüngeren deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte spielte hier in der Zeit zwischen 1974 und 1984. Der sogenannte „Talsperrenkrieg“, der hier im engen Tal des Flüsschens Neger tobte, sucht an Intensität und lokalen Langzeitfolgen seinesgleichen. Auf der einen Seite standen die Planer einer Talsperre, die den gesamten Ort einschließlich seiner Schlossturmspitze viele Meter tief unter den Spiegel ihres künstlichen Sees hätte versinken lassen. Auf der anderen störrische Brunskappeler, die ihre heimatlichen Wurzeln nicht für ein neues Dorf vom Reißbrett am Stausee-Ufer opfern wollten.

Historische Baupläne: Autonome Stromversorgung dank Wasserkraft

Die „Qualitätsmedien“ bedeckten sich in der ganzen Zeit des Konflikts nicht mit Ruhm, sondern hetzten die Dorfbewohner noch gegeneinander auf. Auch die bizarre Rolle des damaligen Schlossbesitzers ging als Schauergeschichte in die Folklore des Sauerlands ein. Nach einem Jahrzehnt des Zermürbungskriegs gewann der Widerstand. Doch bis heute sind die alten Fronten im Ort sichtbar und unvergessen. Mit wem auch immer ich mich in Brunskappel vierzig Jahre danach unterhielt – nie dauerte es lange, bis das Gespräch auf den Talsperrenkrieg kam.

Der „Krieg“ führte zu einer langen Phase der Lähmung Brunskappels. Schloss Wildenberg ist auch dafür das Symbol. Inzwischen im Besitz des Ruhrtalsperrenvereins, stand es zeitweilig leer oder wurde wahllos vermietet. Die Folgen: Vernachlässigung und ein langsamer Verfall. Kletterpflanzen und Unkraut wucherten, wie in einem sagenhaften Märchenschloss, auf dem ein böser Zauberbann lastete. Aus diesem Dornröschenschlaf erwachte Schloss Wildenberg erst 2011 wieder, als der münsterländische Unternehmer Maurice M. Oosenbrugh es kaufte. Mit ihm zog ein lange vermisster Geist wieder in das zuletzt 1909 neu errichtete Gemäuer ein: Gestaltungswille, Detailverliebtheit, Individualismus – und ein Schuss Exzentrik.

Großartig fotografiert: das Schloss und sein Style

Wer Oosenbrugh kennengelernt hat, den überrascht es nicht, dass die Dinge im Schloss und im Dorf bald in Bewegung gerieten. Ein frischer, optimistischer Wind wehte durch Brunskappel, als das Schloss unter Oosenbrughs Regie in langwieriger und liebevoller Facharbeit denkmalschutzgerecht saniert und wiederbelebt wurde. Der alte Mittelpunkt des Ortes war nun wieder etwas, an dem man sich mit Freude orientierte. Doch der Unternehmer brachte mit seiner unkonventionellen und unkomplizierten Art auch eine Kultur nach Brunskappel, die für Missverständnisse sorgte: Mancher machte sich falsche Erwartungen, mancher sah die altgewohnten Verhältnisse im Dorf bedroht. Man musste sich gegenseitig erst aneinander gewöhnen.

Mir als Beobachter von außerhalb scheint es nachvollziehbar, dass der heutige Schlossbesitzer schnell Freunde in Brunskappel fand – allerdings vor allem solche, die sich wie er einen eigenwilligen, leicht vom Zeitgeist abweichenden Blick auf die Welt bewahrt haben. Man findet solche Menschen in der Nähe dieses ungewöhnlichen Hauses, in Brunskappel und im gesamten Sauerland. Vielleicht liegt es am Schutz der steilen Hänge und immer noch tiefen Wälder, dass ein Schloss wie Wildenberg zum Brennpunkt vieler unglaublicher Geschichten werden konnte.

Wer als Autor wie ich Zeit in Brunskappel verbringen durfte, ist dankbar für das Feuer der Inspiration, das dieser Ort entzündet. Ich hoffe, dass es sich auf die Leser dieser Geschichten überträgt.

Spannungsfeld: Dorf, Bewohner, Schloss