Einfallsreiche Ausfallstraßen

Hamburg und seine Champs-Élysées: Wenn Ihnen dieses Begriffspaar jetzt nicht unbedingt in den Sinn gekommen wäre, könnte es auch daran liegen, dass in den breiten Verkehrsschneisen der Stadt … nun ja: noch versteckte Potenziale schlummern. Wie sie zu heben wären, hat mir Oberbaudirektor Franz-Josef Höing im Interview erklärt.

Der Oberbaudirektor ist in Hamburg eine Institution, wie sie anderswo und in anderen Zeiten vielleicht der Lordsiegelbewahrer oder der Reichsverweser war: Inhaber einer eminent einflussreichen Position mit erheblicher Gestaltungsmacht. Klingt ja auch ähnlich majestätisch: Oberbaudirektor.

Der hohe Aufmerksamkeitswert jeder seiner Äußerungen liegt auch am langen Schatten von Fritz Schumacher, der diesen Titel von 1923 bis 1933 trug und zu seiner Zeit bahnbrechende Infrastrukturprojekte, Gebäude und Siedlungen in der Hansestadt entwarf. Mit seinen typischen Rotklinkerbauten, die heute unter Denkmalschutz stehen, wurde Schumacher zur langlebigen „Hamburgensie“.

Eine andere Hamburgensie sind mittlerweile die „Bauforen“, themenbezogene Stadtplanertreffen mit lockerem Festivalcharakter. Hamburgs Oberbaudirektoren haben sie seit den Neunzigerjahren immer dann veranstaltet, wenn städtebauliche Weichenstellungen anstanden. Auch der aktuelle „OD“ Franz-Josef Höing ruft jetzt die internationale Planerszene zum Bauforum, und zwar wegen der „Magistralen“. Das sind jene großen Achsen, über die der Verkehr nach Hamburg hinein und mit Glück wieder herausfließt. Profaner heißen sie auch Hauptverkehrs- oder Ausfallstraßen (weil man ausfällig werden könnte, wenn man auf ihnen im Dauerstau steht).

Aber Höing findet, dass diesen Schneisen mehr Charme und Grandezza innewohnen könnte, wie das hochadelig anmutende Wort „Magistrale“ schon andeutet. Auch sollten sie mehr zum Verweilen einladen, statt nur dazu, sich über sie von A nach B zu wälzen. Nicht zuletzt könnte ihr Hinterland in zweiter oder dritter Reihe zu interessanten Wohnquartieren werden, die zwar von der Energie des Verkehrsflusses profitieren, aber gleichzeitig in seinem toten Winkel Ruhe finden.

Das glaubte übrigens ganz ähnlich schon Schumacher, der mit spitzem Bleistift ein „Fächerkonzept“ für die Stadtentwicklung entlang der Hauptachsen skizzierte. Wodurch sich ein historischer Fächer Bogen schließt und wieder mal klar wird, wie lange so ein Stadtentwicklungsprozess im Ganzen dauern kann (nämlich unbefristet). Zu alledem hat Höing jetzt dem Magazin „Hamburger Architektur Sommer 2019“ ein Interview gegeben. Beziehungsweise mir, der das Autofahren in Hamburg schon lange aufgegeben hat. Wer das, was unten abgebildet ist, nachlesen will, kann das Interview hier herunterladen.

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