Der Schweizer Raphaël Domjan will als erster Mensch in einem nur mit Solarstrom betriebenen Flugzeug an die Grenze zum Weltall vordringen. Ich habe den waghalsigen „Öko-Explorer“ besucht.
Der Krach kommt ganz plötzlich und wie eine Schockwelle. Über die Startbahn des beschaulichen Flugplatzes von Payerne in der französischen Schweiz donnert eine F/A-18 der Schweizer Luftwaffe dem Himmel entgegen. Mit gezündeten Nachbrennern fräst sich der Kampfjet im grauen Tarnanstrich durch die drückende Wolkenschicht, nach Sekunden schon ist er den Blicken entzogen. Zurück bleibt der Geruch von Kerosin.
In einem Hangar auf dem zivilen Teil des Flugplatzes, nur 100 Meter neben der Startbahn, setzen ein paar Männer die Ohrenschützer ab. Ein kurzer Funkverkehr mit dem Tower auf Französisch bestätigt: Jetzt, wo der letzte militärische Start des Vormittags durch ist, öffnet sich das Zeitfenster für eine ganz und gar andere Art des Fliegens. Schon schieben zwei der Männer in den gelben Warnwesten die Rolltore der kleinen Halle bis zum Anschlag auf.
Das hereinflutende Tageslicht lässt die Solarzellen auf den Tragflächen des Zweisitzers vom Typ Elektra Two Solar glitzern. Auf seiner Flanke prangt der Missionsname „SolarStratos“. Kräftige Arme bugsieren die Flugmaschine behutsam hinaus aufs Rollfeld. Fast 25 Meter Spannweite drängen an die Sonne – doch die macht sich gerade rar. Nun beginnt es gar zu tröpfeln! Droht ein Gewitter? Das wäre ein absolutes No-Go. „Expérimental“ steht mit gelbem Warndreieck auf dem eleganten Kohlenfaser-Rumpf, vorn, wo der Elektromotor sitzt.
Das Leichtflugzeug, konstruiert von einem Ableger des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), ist für solarelektrischen Flug gebaut. An diesem Tag aber wird es noch ausschließlich mit Batterie-Energie gespeist. Denn es hat noch keine zwei Flugstunden eines Test-Marathons absolviert, der irgendwann im Jahr 2020 auf ein historisches Ereignis hinauslaufen soll: Dann will der selbst ernannte „Öko-Explorer“ Raphaël Domjan, im lebenserhaltenden Raumanzug, nur mit Sonnenenergie bis in 25 Kilometer Höhe vordringen. Für 15 Minuten dahingleiten in der Stratosphäre, an der Grenze zum Weltall.
„Den Kosmonautenanzug“, verrät Domjan bei einem Kaffee an der improvisierten Hangar-Bar, „stellt das russische Unternehmen her, das schon für Juri Gagarins Anzug verantwortlich war.“ Erfahrene Hände sind auch nötig, denn dort oben, wo der Himmel schwarz wird, herrschen minus 70 Grad Celsius. An Atmen ohne Sauerstoffflasche ist nicht zu denken. Wegen der ganzen Schläuche und Schutzhüllen gibt es auch keinen Fallschirm an Bord. „Und wenn plötzlich der Druck im Anzug abfällt, beginnt mein Blut zu kochen“, sagt der 46-Jährige leichthin. Es lässt sich locker plaudern, solange man am Boden bleiben darf. Im Cockpit der Maschine, die an diesem Tag gerade mal auf 200 Meter klettern und die Manövrierfähigkeit einer Luftwiderstandklappe erproben soll, wartet diesmal noch Testpilot Damian Hischier auf die Startfreigabe. Am Tag X wird er als „Flight Director“ fungieren.
Für heute allerdings droht sich das kostbare Zeitfenster bald wieder zu schließen. Das Tröpfeln hat unterdessen aufgehört, nur die Sonne schafft den Durchbruch durch die Wolken noch nicht ganz. Ein kurzer Blickwechsel zwischen Hischier und dem Wetterdaten-Beobachter Thomas Sandmann, beide in dunkelblauen Overalls: Wir riskieren es! Der Propeller wird angeworfen, die Räder rollen übers Flugfeld – und es ist unglaublich leise.
Schon in einer Entfernung von 200 Metern hört man vom Start überhaupt nichts mehr. Wo vorhin noch das Kampfflugzeug röhrte, hebt der weniger als 400 Kilo schwere Zweisitzer elfengleich ab. „Muss noch leichter werden“, erklärt Domjan, das Funkgerät für den Kontakt zum Testpiloten in der Hand. Leichter werden muss Domjan auch: „Zehn Kilo abspecken bis zum Stratosphärenflug“ hat er sich vorgenommen.
Man könnte den Abenteurer Raphaël Domjan für größenwahnsinnig halten, für einen Ikarus der Neuzeit, wenn man nicht seine Geschichte kennen würde. Der Junge aus bescheidenen Verhältnissen, der auf der Schule kaum mitkam, verdingte sich später zunächst als Fahrrad- und Motorradmechaniker, dann als Sanitäter. Doch sein Traum war es, noch mehr aus sich zu machen, Abenteuer zu bestehen und zur Rettung der Welt vor dem Umwelt-Exitus beizutragen. Mit Überzeugungstalent und Ausstrahlung schaffte er es, potente Förderer für seine erste Wahnsinnsidee zu gewinnen: eine Weltumrundung auf den Meeren – in einem Solarzellen-Katamaran. Zwischen 2010 und 2012 wurde aus dem „Wahnsinn“ triumphale Wirklichkeit.
Auch jetzt wieder hat der Öko-Explorer Seelenverwandte und Sponsoren um sich geschart. Seinen Landsmann Bertrand Piccard, der 2016 eine Weltumrundung mit dem Solarflieger SolarImpulse vollendete und dabei mit 9200 Metern den bisherigen Höhenrekord aufstellte, bezeichnet Domjan als guten Freund. Zu „Botschaftern“ seiner SolarStratos-Mission machte er keine Geringeren als etwa Jean Verne, Ur-Enkel des Romanciers Jules, oder den mittlerweile verstorbenen Astronauten Edgar Mitchell, der mit Apollo 14 den Mond betrat. Es gehören sowohl handfester Abenteurergeist als auch etwas Visionäres und Missionarisches dazu, Domjans Traum anzuhängen: „Wir wollen den Flug des Ikarus vollenden“, sagt er. Und weiß um das böse Ende der Sagengestalt, die im Übermut der Sonne zu nah kam.
Domjan tickt anders als etwa der österreichische „Stratosphären-Springer“ Felix Baumgartner. Der war nach Meinung von Kritikern auf einem Ego-Trip, als er sich 2012 für eine Limonadenfirma aus 35 Kilometern Höhe in ein Auffangnetz stürzte. Dem Schweizer hingegen geht es darum zu zeigen, „dass wir die Technik und das Wissen bereits haben, um die Ressourcen der Welt verträglich zu nutzen“. Der Einklang mit der Umwelt sei keine Science-Fiction: Fast alle Komponenten, die in seinem Flugzeug verbaut seien, könne man im Fachhandel kaufen.
Aber auch verschiedene kommerzielle Nutzungen seines emissionsfreien Fluggeräts sind vorstellbar. So bietet „SolarStratos“ schon jetzt für 60.000 Franken einen Mitflug in dieser absoluten Luftfahrt-Rarität an – wenn auch längst nicht bis an die Weltallgrenze. „Bedenkt man, dass wir bislang fünf Millionen für unser Projekt ausgegeben haben, aber erst zwei Flugstunden zu Buche schlagen, sind das 2,5 Millionen pro Stunde“, rechnet er im Scherz vor. „Da sind 60.000 Franken fürs Mitfliegen doch gar nicht viel!“
Vielleicht einträglicher als ein Solarflug-Tourismus für Millionäre sind andere Geschäftsideen, an denen bereits gearbeitet wird. Doch erst einmal muss sich die SolarStratos in die Höhe zirkeln, Runde für Runde. Als Testpilot Hischier an diesem Tag wieder auf der Piste aufsetzt, ist das Team kaum klüger als zuvor: Aus unklaren Gründen konnte die Widerstandsklappe unter dem Rumpf nicht getestet werden. Doch Rückschläge gehören zum Leben eines Öko-Explorers. Das Risiko fliegt immer mit. Kinder hat Domjan nicht, das macht es einfacher. Der Schweizer erinnert aber daran, dass sein Freund Piccard, der aus einer ganzen Abenteurer-Dynastie stammt, drei Töchter habe. Warum man trotz allem seine Gesundheit für die Solarfliegerei riskiere? „Man muss Kindern auch zeigen, dass es im Leben wichtig ist, seinen Traum zu verfolgen!“ Und überhaupt: „Das Leben ist ein Abenteuer, das niemand von uns überleben wird!“
In einer redaktionell leicht bearbeiteten Version ist dieser Artikel ursprünglich in Ausgabe 22/2018 von VALUA erschienen. Die Fotos darin sind – bis auf eines von mir – Stockmaterial von Solarstratos. So sieht das Stück im Magazin aus: