Es gibt diese Szene aus einem älteren Woody-Allen-Film, in dem Allen als Familienvater an dem Problem leidet, sich zunehmend in einen Schemen zu verwandeln: Er wird im wörtlichen Sinne immer unschärfer und transparenter, bis er nur noch vage vor sich hin flimmert. Seine Kinder finden das gar nicht schockierend, sondern lustig und aufregend, sie rufen angesichts ihres blässlich-verwischten Vaters begeistert im Chor: „Daddy’s out of focus! Daddy’s out of focus!“ Dasselbe passiert mir gerade – im noch weiter fortgeschrittenen Stadium.
Ich bin zum Geist geworden. Zum Ghostwriter eines Buches. Das bedeutet: Mich gibt es gar nicht. Es gibt die bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, in deren Namen ich das Buch verfasse. Es ist das Buch dieser Persönlichkeit, ihr Name wird auf dem Cover stehen. Ihre Gedanken werden darin zum Ausdruck kommen. Es sind gute, wichtige Gedanken, es ist ein wichtiges Buch. Aber wer spricht dort eigentlich? Das ist verwirrend, selbst für einen Geist.
Dass es mich nicht gibt, daran bin ich gewöhnt. Bevor ich zum Geist wurde, war ich ja schon 18 Jahre lang ein Medium. Nicht Medium im Sinne von Schamane, der mit Geistern Verstorbener spricht, sondern Medium im Sinne von Nachrichten-Mittler. Auch der Journalist ist ja persönlich total uninteressant (auch wenn er sich meist für umso interessanter hält). Er soll nur transportieren, was die wirklichen Nachrichtenmacher oder wahlweise seine Verlagsherren zu sagen haben. Man lernt, während man auf diesen Werkzeug-Status reduziert ist, eine Menge Interessantes über die Nachrichtenmacher im wirklichen Leben und im vermittelten Leben, zu dem man beiträgt. Man lernt zunächst genau hinzusehen und zuzuhören, und dann vor allem zwischen den Zeilen zu lesen. Ein Medium ist der perfekte Beobachter und Analytiker. Keine schlechte Voraussetzung für mein Leben als Geist.
Die zweite gute Grundlage: Ich habe schon drei eigene Bücher veröffentlicht. Da wird man dann plötzlich selbst zur Person, man liest öffentlich, man wird interviewt und um seine Einschätzung gefragt, Menschen hören und sehen einem dabei zu, man schreibt für sie sogar seinen Namen mit Füllfederhalter ins Buch, obwohl er schon außen auf dem Cover steht. Seht, da ist ein Autor! Der Mann hat ein Buch verfasst, der muss etwas zu sagen haben! Seltsam – aber so steht es geschrieben. Und gut zu wissen, wie es sich anfühlt.
Doch nun habe ich mich, nach der Evolution vom Werkzeug zur Person, vollständig in meine geistigen Partikel aufgelöst. Puff! Dies ist kein Rückschritt, meine Damen und Herren! Wenn Sie jemals Tucholsky gelesen haben, wissen Sie, dass es sich um das Hinaufschreiten einer Treppe gehandelt hat. Nämlich einer ähnlichen wie der von T. selbst skizzierten:
Wobei: Ich schweige ja gar nicht. Im Gegenteil: Mit der real existierenden Persönlichkeit, in deren Kopf ich seit kurzem wohne, habe ich mir tagelange Wortgefechte geliefert, wie es denn da oben richtig zu ticken habe. Also in meinem Geisterkopf, nicht in ihrem echten. In dem tickt es schon hoch präzise, sonst käme da ja kein interessantes Buchmaterial raus. Aber ich, als vergeistigter Untermieter ihres Kopfes, muss ja erst mal synchron ticken lernen. Darum ging es bei unseren Scharmützeln. Währenddessen genoss ich die wirklich spektakuläre Aussicht aus ihren Bürofenstern und viele Espressi. Am Ende war ein ungefährer Gleichtakt sichergestellt. Jedenfalls glaube ich das. Wie gesagt, der Prozess dauert an.
Aber wer spricht denn dann am Ende aus dem fertigen Buch? Ich würde sagen: 90 Prozent Person X und elf Prozent ich, der Ghost. „Das sind ja zusammen mindestens 121 Prozent!“, rufen jetzt die Skeptiker. Falsch, rufe ich zurück, das eine überschüssige Prozent ist reine Magie! Geister-Mathematik: Die 90 Prozent sind der Gedankenstrom, den Person X sozusagen in mich, ihr Gefäß, hat hineinströmen lassen. Woraufhin es in diesem Gefäß angefangen hat zu reagieren wie in einem Kessel mit Zaubertrank. Zehn Prozent sind meine hartnäckigen Nachfragen, um zu verstehen, welche Essenz da mit welcher Substanz reagiert. Und dieses eine Zusatz-Prozent entsteht, wenn der Ghost sich mit dem Werk der Person, deren Namen auf dem Cover stehen wird, zu identifizieren beginnt, als ob es sein eigenes wäre: Kongruenz. Eine übrigens wunderbare Erfahrung.
Ich könnte jetzt sagen: Kauft das Buch und seht selbst, ob die Rechnung aufgeht! Aber mich gibt es gar nicht. Gäbe es mich, hätte ich ein umfassendes Schweigegelübde abgelegt. Der Agentenfilmsatz „I’m afraid I’m not authorized to discuss this“ gehört jetzt zu meinem Berufsethos. Noch beeindruckender fand ich im Kino immer nur „That noise? Oh, that’s just my chopper coming!“ und „We’ve got to get out of here!“ Das allerdings sind Sätze für Autoren aus Fleisch und Blut. Nicht für mein Leben als Geist.